McLaren 650S Test – Ritt auf der Kanonenkugel

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Keine Sorge, jetzt kommt kein Märchen von Baron von Münchhausen. Hier kommt der Bericht über ein Katapult, einen Supersportwagen, eine Fahrmaschine reinsten Wassers: den McLaren 650S.

Er ist flach, laut, hat Flügeltüren und ist dazu auch noch betörend schön, vor allem im Farbton „Aurora Blau“. Doch ist er auch so gefährlich, wie es heißt? Lässt er sich auch von Otto-Normal bewegen oder braucht es dazu eine Rennlizenz? Wir haben den Briten zum Tanz gebeten.

 

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Design – Nicht nur der Name ist neu

Um es vorweg zu nehmen: Der McLaren 650S ist das Quasi-Facelift des MP4-12C. Ob er hübscher geworden ist, sei dahin gestellt. Fakt ist aber, dass der blaue Supersportler von der Insel einen griffigen Namen bekommen hat – vorbei die Zeiten der Zungenbrecher. Fakt ist aber auch, dass der 650S jetzt das Familien-Gesicht von McLaren trägt: Die beiden großen, äußeren Lufteinlässe drücken die Scheinwerfer zu halbmondförmigen Sicheln und erzeugen beinahe ein schelmisches Grinsen im Bereich von der Motor… – Pardon – Kofferraumklappe.

Betont wird der sichelförmige Look durch das in die Scheinwerfer integrierte Tagfahrlicht, das die Designer gekonnt untergebracht haben. Was zusätzlich bei der Betrachtung von vorn auffällt, sind, neben der sonst glattflächigen Gestaltung, die Außenspiegel. Ihre langen Arme rücken die beiden Notwendigkeiten filigran nach außen und geben dem Betrachter das Gefühl, dass die Aerodynamik besonders ausgeklügelt sein muss.

 

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Betrachtet man die blaue Flunder von der Seite fallen aber kaum Unterschiede zum Vorgänger mit der verwirrenden Nomenklatur auf: Die Linienführung ist nahezu identisch geblieben, mit ihrer kurzen Front und dem langen Heck. Und auch hier finden sich fließende, glattflächige Linien wieder, wie wir sie schon am Bug gefunden haben. Keine scharfen Sicken, keine bewusst gesetzten Design-Spielereien: Hier dient alles nur dem einen Zweck – der Sportlichkeit.

Die geschwungenen Linien geben auch hier den Ausschlag in Richtung Windschlüpfrigkeit. Die großen Lufteinlässe hinter den Türen, sowie deren kleinere Pendants an den hinteren Seitenscheiben sind hingegen dazu gedacht, den Fahrtwind nicht abzuleiten, sondern ihn aufzunehmen und ihn zur Luftzufuhr für Motor und Bremsen zu verwenden.

 

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Die so aufgenommene Luft wird am Heck wieder abgegeben: Durch eine Art Grill mit einigen horizontalen Streben darf die Abwärme des Aggregats wieder in die Umwelt entweichen. In diese Streben integriert, finden sich die Rückleuchten wieder, die für den Laien bei Nicht-Benutzung kaum als solche zu erkennen sind.

Zusätzlich ist im Bereich dieser Streben auch die Auspuffanlage untergebracht – ungewöhnlich hoch, wie wir finden. Doch auch hier gilt: Form follows function. Als krönender Abschluss am Heck, darf der große, untere Diffusor natürlich nicht außen vor bleiben, der wieder jedem Betrachter deutlich machen sollte, dass hier die Aerodynamik an vorderster Stelle steht.

 

Interieur – „Reduced to the Max”

Wären nicht die gelben Ziernähte, könnte man fast behaupten, das Cockpit sei unaufgeregt. Natürlich befinden sich weit und breit edle Werkstoffe, wie Carbon, Aluminium und viel Alcantara, doch gibt sich die Innenraumgestaltung bewusst zurückhaltend – schließlich hat der Fahrer genug mit den Fahrleistungen dieser Rakete zu tun.

 

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Wie bereits erwähnt, ist fast der gesamte Innenraum mit Alcantara ausgestattet. Das schafft nicht nur einen hochwertigen Eindruck, sondern auch hat auch die Wirkung, dass alles sehr griffig ist. Selbst das Lenkrad ist mit diesem Werkstoff verkleidet und gibt nach nur wenigen Metern das Gefühl, mit den Händen verwachsen zu sein. Auch die Sitze geben einen extremen Halt, was man aber vor allem ihrer schraubstockartigen Ausformung zu verdanken hat. Wer also mit dem Gedanken spielt, sich einen 650S zuzulegen, sollte vor dem Kauf unbedingt die Größe der Fauteuils testen.NewCarz-McLaren-650S-238

Auch die Verarbeitungsqualität darf sich sehen lassen: Alle Nähte sitzen äußerst akkurat, die Echtcarbon-Verkleidungen sind sauber eingepasst und auch die Haptik lässt keine Wünsche offen. Passend dazu gesellt sich ein Infotainment-System, das man einem Supersportler nicht unbedingt zugetraut hätte: Ein gut ablesbarer Touchscreen bietet die Möglichkeit der logisch zu steuernden Navigation, des Bluetooth-Audio-Streamings und vielem mehr. Dabei gelingt die Handhabung problemlos, wenn man schon mal ein Smartphone in den Händen gehalten hat. Anlass zur Kritik bietet nur die – absolut notwendige – Rückfahrkamera: Ist der Rückwärtsgang eingelegt, dauert es nicht nur einige Sekunden, bis man ein Bild angezeigt bekommt, es kann hin und wieder auch vorkommen, dass das System überfordert ist und schlicht abstürzt.

Das geschieht beim reduzierten Kombiinstrument glücklicherweise nicht: Die mit dem Vorgänger MP4-12C identische Anzeige glänzt ebenfalls mit einer angenehmen Zurückhaltung, gibt trotzdem allerlei Informationen und gefällt darüber hinaus mit einer guten Ablesbarkeit. Weiterhin unterstützt zudem die Unterbringung der Klima-Regelung in den Türen den reduzierten Charakter des Interieurs, da so die Mittelkonsole angenehm schmal und übersichtlich gestaltet werden konnte. Hier findet sich lediglich das Infotainment, sowie – klar beschriftet – die Bedieneinheit für die Fahrdynamikregelung.

 

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Fahreindrücke – Wie von der Tarantel gestochen schießt er davon

Es ist ein einmaliges Erlebnis: Knopf gedrückt, den Wagen mit dem linken Fuß angebremst, der rechte Fuß tritt das Gas voll durch, die Drehzahl pendelt sich bei 3.000 U/min ein und plötzlich wird die Bremse gelöst: BANG! Die Köpfe der Insassen schlagen gegen die Sitzschale. Der erste Blick, den man auf das Tachometer wirft, nachdem man sich wieder gefangen hat, verheißt nichts Gutes und der beherzte Tritt auf das sehr harte Bremspedal gibt einem ein Stück des Sicherheitsgefühls zurück.

Kennen sie die „Fast and Furious“-Filme? Können Sie sich an die Szenen erinnern, wenn plötzlich das Lachgas eingespritzt wird und die Umgebung um den Blick des Fahrers verschwimmt? Genau so sieht man auch seine Umwelt, wenn man mit dem 650S voll beschleunigt: Man entwickelt einen starken Tunnelblick und alles um einen herum verschwimmt nur noch.

 

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8,4 Sekunden vergehen, bis der blaue Athlet die 200 km/h erreicht hat; 25,4 Sekunden bis 300 Stundenkilometer. Werte, die wie nicht von dieser Welt wirken. Da freut man sich wahrlich, wenn man von der Bremse wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird: 30,7m Bremsweg aus Landstraßentempo verspricht McLaren – glaubhafte Werte. Der Vortrieb endet erst bei unfassbar schnell erreichten 333km/h: Dieser Wert lässt sich so spielend erreichen, dass ihn sogar Laien nicht nur nachts auf leeren Autobahnen auf das Digital-Tacho zaubern können.

 

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Doch genug zur Längsdynamik, schließlich ist der Brite kein Dragracer. Auch die Kurvenperformance überzeugt vollauf. Die Lenkung gibt sich über alle Maßen direkt, aber nicht zappelig. Sie gibt ein sehr gutes Feedback, stört dabei aber nicht mit übertrieben hohen Lenkkräften. Auffällig leichtgängig gibt sie sich aber auch nicht – ein mehr als nur gelungener Kompromiss. Sie macht zusammen mit dem überraschend kommoden Fahrwerk möglich, sich sachte an den sehr hoch angesiedelten Grenzbereich des Supersportlers heranzuwagen.

Extreme Kurvengeschwindigkeiten mit der chirurgischen Präzision und Rückmeldung eines Skalpells sind das Resultat. Im Sportmodus wird dazu die Regelelektronik an die etwas längere Leine gelegt, sodass zahme Heckschwenks den Fahrspaß, aber auch den Puls erhöhen. Vom Track-Mode haben wir also lieber Abstand genommen, schließlich wollten wird den blauen Beau nicht geradewegs in den nächsten Straßengraben bugsieren.

 

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Auch im automobilen Alltag machte der McLaren eine gute Figur: Hat man erst den Einstieg durch die Flügeltüren und über die breiten Schweller geschafft, gibt sich der Wagen durchaus handzahm. Tritt man das rechte Pedal nur sachte, benimmt sich der Engländer wie ein gewöhnliches Auto.

Er federt sogar Bodenwellen passabel weg und gibt sich nachgiebig. Natürlich sollte man schon darauf achten, über welche Art von Verwerfungen man den 650S schickt, da die Bodenhöhe nicht unbedingt feldwegtauglich ist. Grundsätzlich kann man mit ihm aber auch zum Bäcker fahren, um besonders zügig an warme Brötchen zu kommen.

 

Fazit – „A class of its own“

Mit diesem alten “Rover” Werbeslogan lässt sich das Konzept des 650S wohl am besten beschreiben: Nicht nur die unglaublichen Fahrleistungen erheben den Briten in den Auto-Olymp, sondern auch seine gutmütigen Alltagseigenschaften. Der vordere Kofferraum nimmt es locker mit zwei Wasserkästen auf, das Navi findet schnell den passenden Weg zur Schwiegermutter und der Geräuschkomfort im Innern ist erstaunlich hoch.

 

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Doch wirklich glücklich ist man mit diesem McLaren nicht im Alltag: Man ist ständig versucht, der unbändigen Leistung Tribut zu zollen und ihn einfach laufen zu lassen. Genau das ist es, was glücklich macht. Genau das ist es aber auch, das eine hohe Disziplin erfordert, besonders auch im Hinblick des hoch angesiedelten Grenzbereichs. Lotet man ihn voll aus und hat alles Fahrdynamik-Regelungen deaktiviert, ist nicht nur voller Einsatz gefordert, sondern auch absolutes fahrerisches Können.

 

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Die Geschichte hinter der Probefahrt erscheint am 24. August 2014 auf FYLE. Weitere Fahrberichte gibt es bei Rad-Ab, Auto-Geil, Drivers Club Germany und Mein-Auto-Blog.

 

Bilder: Mikhail Bievetskiy Photography für NewCarz

 

Technische Daten: McLaren 650S

Motor: V8 Turbo-Benziner

Hubraum: 3.799 ccm

Leistung: 478 KW / 650 PS U/min

Drehmoment: 678 Nm

Getriebe: 7-Gang-Doppelkuppungsgetriebe

Antrieb: Heck

Leergewicht: 1.330 Kg

L/B/H: 4.512/2.093/1.199mm

Beschleunigung 0 – 100 km/h: 3,0s

Beschleunigung 0 – 200 km/h: 8,4s

Beschleunigung 0 – 300 km/h: 25,4s

Höchstgeschwindigkeit: 333 km/h

ECE-Verbrauch: 11,7 L/100km

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