Es ist der Kampf um die besten Reifen. 24 Stunden stehen sie ihr Gummi. Nur wer ins Ziel kommt, hat alles richtig gemacht. Am Ende heißt es Fetzen- oder Konfettiregen. NewCarz war beim 24h Rennen am Nürburgring in der Boxengasse dabei und hat Gummi gerochen.
Nur wenige Rennserien und –termine kommen inzwischen ohne feste Herstellerbindung daher. Die Langstreckenrennen bilden eine seltene Ausnahme. Hier zieht jeder auf, was er für am besten hält. Nicht nur fast jede Wagenklasse ist vertreten, sondern auch jeder Reifenhersteller. Am Ende gewinnt ein Audi R8 LMS nach 156 Runden und 25. 378 gefahrenen Kilometern.
Das 24h Rennen am Nürburgring gilt als das härteste seiner Art. Vor dem Start am Nachmittag sind noch alle entspannt. Die wichtigen Phasen, in denen sich entscheidet, wer eine reelle Chance des Überlebens hat, kommen erst mit der Dämmerung. In drei Klassen wird gestartet. Zunächst schalten die Ampeln, Nachmittags um vier, für die Stärksten auf Grün. Sie rücken mit großen Teams und riesigen Reifen an. Direkt danach folgen die kleineren Motorisierungen. In der dritten Gruppe wird es bunt. Vom Golf 3 bis zum Manta mit Fuchsschwanz an der Antenne.
Peter Dumbeck, erfahrener 24 Stundenrennen und DTM-Fahrer, freut sich: „Nirgends sonst, teilen wir uns eine Strecke mit Autoverrückten, reichen Leuten und Profis.“ Bis zu vierzig Autos, wird er laut eigener Aussage, pro Runde über die Nordschleife überholen. Das Können der Fahrer sichern Rennlizenzen ab, das Durchhaltevermögen von Mensch und Auto wird vom Asphalt aufs Härteste überprüft. Das Rennen lässt sich treffend als der Iron Man des Rennsports bezeichnen. Nicht viele schaffen es ins Ziel, jeder bringt Blessuren mit.
Dumbeck sitzt im Porsche 911 GT3 R. Gemeinsam mit Wolf Henzler, Alexandre Imperatori und Martin Raggingers bildet er das Fahrerquartett von Falken Motorsport. Der japanische Reifenhersteller kooperiert mit Porsche und hat an die Rennstrecke geladen. Ihr schwarzes Gold wird Jahr für Jahr weiterentwickelt. Ein Ingenieur ist extra aus Japan angereist, um die Reifen zu überwachen. Gemeinsam mit den Renningenieuren wird er das komplette Rennen am Kommandostand verbringen und kein Auge zu tun.
Für das Langstreckenrennen wird die komplette Nordschleife geöffnet. Rund 24 Kilometer geht es hinaus in die Eifel. Bergauf und bergab durch 73 steile Kurven. Dort, in der grünen Hölle, lassen sich in der Nacht die Scheinwerfer wie Glühwürmchen beobachten. Die wahre Party findet abseits der Strecke statt. Zweihunderttausend Besucher und mehr campen, teils seit Beginn der Woche, hier. Am Pflanzengarten, einem der zahlreichen Hotspots an der Stecke, sitzen Rennbegeisterte in ihrem beheizten Whirlpool, der Marke Eigenbau. Aus zahlreichen Lautsprecherboxen ertönt Musik.
Zurück bei Falken starrt das Boxenteam auf die Monitore. Acht Minuten und mehr sehen die Teams ihren Boliden nicht, dann rauscht er einmal über die Start- und Ziellinie. Nur GPS Signale und TV-Bilder kennzeichnen den Weg. Das Team steht unter Spannung. Gemeinsam mit drei anderen teilen sie sich eine Box. Hier mischt sich klein mit groß. Falken hat die ambitioniertesten Ziele. Im Vorjahr haben sie es auf den vierten Rang geschafft. Natürlich wollen sie sich dieses Jahr steigern: Das Treppchen ist das Ziel. In Audi und BMW lauert die größte Konkurrenz.
Eine Warnmelodie kündigt die zahlreichen Ankömmlinge in der Boxengasse an. Wer kann, kommt nur herein, wenn der Tank leer ist. Der Ford Focus RS, der ebenfalls in der Box steht erhält einen neuen Motor. Bei Falken scheint der Glücksfaden noch intakt. Der Reifeningenieur überprüft die Pneus, die vor Sekunden von dem Porsche gezogen wurden. Hampelmann springend macht sich der schweizer Imperatori für seinen Turn fertig. Wird tagsüber noch bei jedem Stopp gewechselt, fährt nachts jeder im Optimalfall zwei Stints. Möglichkeit für die anderen Fahrer abzuschalten, zu essen und etwas Schlaf zu bekommen.
Im Morgengrauen pumpen die Boxen in den Wäldern immer noch ihre Schallwellen ins Grün. Jetzt kommt die schwierigste Phase. Die nahende Helligkeit bleibt unerklärt der größte Feind der Fahrer. Viele machen jetzt im Morgengrauen entscheidende Fehler und fallen aus. Danach folgen ruhigere Stunden. Abwarten, wer am Nachmittag ins Ziel kommt.
Die Ersten bauen, während sie weiterhin die vorbeizischenden Motoren beobachten, ihre Zelte zurück. Jeder möchte am Nachmittag bereit für das Finale sein, Hab und Gut bereits verstaut haben. Die Wege nach Haus führen oftmals quer durch Europa, für das Rennwochenende sind sie hingegen eine riesen Familie. Wenige Kurven sind das einzige, was sie vom Rennen auf der Nordschleife am Rennwochenende mitbekommen haben. Hier zählt das Erlebnis Drumherum. Klein gegen Groß – David gegen Goliath.
In der letzten Stunde entscheidet sich das Rennen. In Reih und Glied fliegen Autos aus der Wertung. Hier ist alles auf Limit konstruiert. Manche scheitern kurz vorm Ziel. Ein privater Rennstall, mit einem kunstvollen Rennboliden schraubt bis kurz vor Schluss an der Bordelektronik. 23 Stunden ging alles gut, dann ging nichts mehr. Die Techniker aller Teams applaudieren, als das Team zehn Minuten vor Ende den Schlitten durch die Gasse schiebt. Er springt an, schafft es ins Ziel. Geschafft.
Um vier Uhr weht die Zielfahne. Kurz danach fährt der Falken-Porsche über die Linie. Am Ende liegen sich alle in den Armen. Das Ziel, ein Platz auf dem Podest, ist erreicht. Als Dritter sind die Türkis-Blauen eingelaufen. Gewertet wird nach Rundenanzahl.
Für den japanischen Reifeningenieur geht es zunächst ins Bett. Zuhause warten dann reichlich neue Ergebnisse aus 24 Stunden Härtetest, um die Reifen im nächsten Jahr noch besser zu machen. Den Krieg der Reifen: Am Ende gewinnen ihn, zumindest im Jahr 2015, die auf den Audi R8 LMS gezogenen Michelin.
Nachdem der Adrenalinspiegel Normallevel erreicht hat, geht es nach Hause. Mit vom Motorenlärm brummenden Ohren endet das Wochenende für uns wie es begonnen hat – mit dem Geruch von Gummi. Wir verlassen die grüne Hölle, einen abgefahrenen Reifen als Andenken über der Schulter. Wer einmal angesteckt wurde vom schwarzen Gold, kommt selten wieder davon los – das 24h Rennen am Nürburgring ist der beste Beweis.
Bericht/Fotos: Nina Rathfelder